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Rentnergewalt, ein tabuisiertes Thema

Von Caspar Schmidt, erschienen im Hinterland Magazin

Beim Durchblättern der Hinterland-Ausgabe zum Thema „Alter“ könnte leicht der Eindruck entstehen, es handle sich bei alten Menschen generell um liebenswürdige und verdiente Idealisten. Doch die in dieser Ausgabe vertretenen Personen hohen Alters sind Einzelfälle mit keinesfalls exemplarischem Charakter. Ein Vulkan im Geiste und die Bereitschaft, jeden Moment in Richtung Jüngere auszuspeien, sind die beiden entscheidenden Signifikanten des Rentenalters.

Die Transformation vom smarten Anwalt Otto Schily zum knochenharten Abschiebeminister ist ein gutes Beispiel für die Abstumpfung durch Lebensjahre. Tragischer noch alterte Peter Scholl-Latour. Der findige Starjournalist macht heute nur noch als kläffender Talkshow-Tatterich von sich Reden. Harald Juhnke, einst ein Sunnyboy aus dem schönen Charlottenburg, verabschiedete sich als Hooligan aus dem Showbusiness. Die Liste könnte unendlich verlängert werden. Täglich erreichen uns die Nachrichtenmeldungen von gewalttätigen Rentnern. Doch die Politik reagiert kaum, oder nur zögerlich. Erst vor wenigen Wochen wurde ein Busfahrer von einem Rentner auf einer Fahrt von Freiburg zum Gardasee mit einem Spazierstock krankenhausreif geschlagen. Er habe sich über das „unnötige Gelaber“ und die Reiseroute geärgert, so der Täter (87). Vor kurzem endete die Gerichtsverhandlung gegen den Wilfried R. (66). Der Rentner erschlug auf seinem „Patrouillengang“ durch eine Kleingartenkolonie in Gifhorn eine dreiköpfige Familie mit einem Knüppel. Das „Lumpenpack“ habe sich nicht an die Vorschriften der deutschen Kleingartenordnung gehalten, begründet Wilfried R. seinen Dreifachmord.

In Reaktion auf die Bankenkrise schrecken Rentner auch vor Entführung nicht zurück. In Speyer fesselte eine Rentnerbande ihren Anlageberater, schlug auf ihn ein und verfrachtete das Menschenpaket in einen Kofferraum. Einer der Beteiligten, Robert K. (74), war der Polizei bereits bestens bekannt. 2009 würgte der Intensivtäter im Flugzeug einen Mitpassagier, weil dieser seinen Unmut erregte.

In München warf ein Rentner (69) ein Mädchen (13) vor die U-Bahn, weil diese – laut Ermittlungen der Polizei – beim Fangenspielen den Sicherheitsstreifen am Bahnsteigrand übertrat. Vor Gericht begründete Ludwig D. den Mordversuch mit einem „Kriegstrauma“. Rentner schrecken nicht davor zurück, ihren Blitzkrieg heute als mildernden Umstand vor Gericht anzuführen. Und rüstigen Rentnern ist jedes Mittel recht.

Häufigste Tatwaffe ist der Spazierstock. Manch einer rüstet sich mit einem scheinbar harmlosen motorisierten Krankenfahrstuhl. Die Münchner Polizei fahndet derzeit nach einem Mann (70), der in Neuperlach mit einem Krankenfahrstuhl bei rot über die Ampel fuhr, um einen blutigen Verkehrsunfall zu provozieren.

Auch die Flaschen sammelnden Rentner machen immer wieder mit grausamen Mordanschlägen Schlagzeilen. Zur Erinnerung: Nach einem Streit um drei Pfandflaschen erstach ein 77-jähriger Rentner in Hamburg 2008 einen 47-jährigen Familienvater und flüchtete mit seinem Gehwagen.

Die Opfer der Gewalt werden allein gelassen. Neben ihren Verletzungen – soweit sie die Übergriffe überleben konnten – haben sie Spötteleien zu ertragen, so als sei es ein Kinderspiel, einem Rentner Herr zu werden. Doch Rentner haben in Wehrmacht oder Bundeswehr gedient und verfügen daher über eine profunde Nahkampfausbildung. No-Future-Attitüde und Krankheiten steigern zudem die Bereitschaft im Alter, weltliche Konsequenzen auszublenden. Alternde Männer gehen mit tödlicher Brutalität vor, auch aus Angst, ihre Opfer könnten sich auf gleiche Weise an ihnen rächen wollen, wie sie sich zu rächen pflegen.

Und es werden immer mehr. Die demographische Entwicklung in Deutschland spielt den Rentnern in die Hände. Immer weniger junge Menschen werden sich immer mehr gewalttätigen Rentnern gegenübersehen. Sollte die Politik das Problem weiterhin totschweigen und die Rentnergewalt-Statistik geheim halten, könnte es bald zu spät sein.